Simone de Beauvoir und „Das zweite Geschlecht“ | kulturell | Bericht über Kunst, Musik und Lifestyle in Deutschland | DW

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Simone de Beauvoirs berühmtestes Buch „Das zweite Geschlecht“ („The Second Sex“) umfasst kaum 1.000 Seiten.

1949 erschienen, wurde es im Laufe der Jahre in mehr als 40 Sprachen übersetzt und gilt als Nachschlagewerk des modernen Feminismus. Darin analysiert de Beauvoir die Situation der Frau in der westlichen Welt und setzt sich mit Tabuthemen wie sexueller Initiation, lesbischer Liebe und Abtreibung auseinander.

Das Museum Bundeskunsthalle in Bonn hat dem Werk eine Ausstellung gewidmet. Die Schau beleuchtet ihre Entstehung im Nachkriegs-Paris und hinterfragt, warum „Das zweite Geschlecht“ bis heute kaum an Wirkung verloren hat.

De Beauvoirs Thesen seien revolutionär, sagt Eva Kraus, künstlerische Leiterin der Bundeskunsthalle, und fügt hinzu, es habe viel Mut gekostet, sie zu verteidigen, ohne aufzugeben. „Dafür gebührt ihr bis heute großer Respekt, was sie damals zu einem Vorbild gemacht hat und das bis heute geblieben ist – auch für mich“, sagte Kraus.

De Beauvoir: „Diese Welt ist eine Welt der Männer“

„Man wird nicht geboren, sondern Frau“ – das ist vielleicht das bekannteste Zitat aus „Das zweite Geschlecht“.

De Beauvoirs Analyse betonte zum ersten Mal die Kategorie „Geschlecht“, während er systematisch zwischen biologischem Geschlecht und kultureller oder sozialer Konditionierung unterschied.

„Diese Welt ist eine Männerwelt, meine Jugend wurde von Mythen genährt, die von Männern erfunden wurden, und ich habe auf sie keineswegs wie ein Junge reagiert“, schrieb sie später in ihrer vierbändigen Autobiografie.

Der erste Band von „The Second Sex“ mit dem Titel „Facts and Myths“ („Fakten und Mythen“) erschien im Juni 1949 und verkaufte sich in der ersten Woche 22.000 Mal. Der Post löste eine hitzige Debatte aus.

De Beauvoirs Ideen zogen viele, meist männliche, Kritiker an. Albert Camus, ein anderer französischer Philosoph, fühlte, dass Männer lächerlich gemacht wurden. Alfred Kinsey, ein amerikanischer Sexologe, warf de Beauvoir einen Mangel an wissenschaftlich relevanten Daten vor. Der Vatikan, die Sowjetunion und Spanien haben das Buch auf einen Index verbotener Bücher gesetzt.

Paris, 1972: Simone de Beauvoir bei einer Demonstration für das Recht auf Abtreibung

Auch nach 70 Jahren noch lesenswert

„Simone de Beauvoir ist heute aktueller denn je“, sagte Alice Schwarzer, Beauvoirs Freundin und Gründerin des deutschen feministischen Magazins. Emma.

Bei der Eröffnung der Ausstellung fügte Schwarzer hinzu, sie sei schockiert über die Menge an Propaganda, der Mädchen und junge Frauen in Bezug auf Körperpolitik jetzt in den sozialen Medien ausgesetzt sind. „Wenn sie heute hier wäre, wäre das ein beispielloser Stoff für de Beauvoir“, sagte Schwarzer. Doch nicht nur das Frauenbild in den Medien macht de Beauvoirs feministischen Klassiker auch 70 Jahre nach seinem Erscheinen lesenswert.

Verschiedene gesellschaftliche Themen brachten das Buch wieder in den Vordergrund, darunter das Recht auf Abtreibung, für das de Beauvoir demonstrierte und das bis heute in Deutschland heftig diskutiert wird.

Andere Fakten und Zahlen machen deutlich, dass Frauen und Mütter während der Corona-Pandemie unwissentlich in alte Muster zurückgedrängt wurden. Frauen tragen die Last der Pandemie: Was hätte Simone de Beauvoir gesagt?

Frauen im Patriarchat

Was hätte sie zu Versuchen gesagt, Frauen in verantwortungsvollen Positionen gegen alle Widrigkeiten herabzusetzen?

Ein Dokumentarfilm über Angela Merkel zeigte kürzlich, wie die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin in der von Männern dominierten politischen Arena an Bedeutung gewann.

Deutschlands neue Außenministerin Annalena Baerbock galt vielen als nicht kompetent oder erfahren genug. In der aktuellen Krise nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine bewies sie Nerven, indem sie bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York an die Weltgemeinschaft appellierte und für eine Resolution gegen Russland eintrat.

Alice Schwarzer steht vor einem riesigen Foto von de Beauvoir

Alice Schwarzer im Bonner Museum

Auch de Beauvoir musste laut Alice Schwarzer immer durchhalten: „Sie hatte sich eine schroffe Art angeeignet. Man muss wissen, dass sie jahrzehntelang unter Beschuss stand.“ Sie sei als Frau schwer angegriffen und diffamiert worden, sagte Schwarzer und fügte hinzu, dass niemand das Frau- und Mannsein in einer patriarchalischen Welt so vollständig und konsequent analysiert habe wie sie.

De Beauvoirs Art von Radikalismus ist „heute selten“

„Ich habe de Beauvoir immer dafür bewundert, dass er im Zweifel eher zu radikal ist als das Gegenteil“, sagte Schwarzer. Aber seine Art von Radikalität sei heutzutage selten geworden, argumentierte sie.

Für die deutsche Feministin und Journalistin ist Fortschritt kein Selbstläufer, man muss immer für seinen Erhalt und seine Weiterentwicklung kämpfen.

Die Ausstellung „Simone de Beauvoir und ‚Das zweite Geschlecht‘“ läuft vom 4. März bis 16. Oktober 2022 in der Bundeskunsthalle in Bonn.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Deutsch verfasst.